Regelmäßig wird für den Beginn eines Arbeitsverhältnisses eine Probezeit vereinbart. Diese beträgt häufig sechs Monate. Dieser zeitliche Umfang ist der Tatsache geschuldet, dass erst dann die Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes greifen. Für Menschen mit Behinderung besteht gem. § 168 SGB IX ein besonderer Kündigungsschutz, weil eine Kündigung der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedarf. Allerdings gilt auch dieser besondere Kündigungsschutz nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX erst, wenn das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung ohne Unterbrechung bereits länger als sechs Monate bestanden hat.

Arbeitgeberinnen sind nach diesen gesetzlichen Vorgaben also weitgehend frei, in diesem Zeitraum ein bestehendes Arbeitsverhältnis zu beenden, soweit nicht offensichtliche Willkür oder Diskriminierung der Grund sind. Speziell mit der Regelung den besonderen Kündigungsschutz für Menschen mit Behinderung auch erst nach einer Beschäftigungszeit von einem halben Jahr wirksam werden zu lassen, wollte der Gesetzgeber erreichen, dass dieser Personenkreis nicht dadurch benachteiligt wird, weil Arbeitgeberinnen in dem verstärkten Kündigungsschutz eine Einschränkung ihrer Entscheidungsfreiheit sehen.

Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH Urt. v. 10.02.2022, Az. C-485/20 HR Rail) stellt nun aber klar, dass eine Kündigung von Menschen mit Behinderung auch in der Probezeit nur eingeschränkt möglich ist. Aufgrund von Art. 5 der europäischen Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie (Richtlinie 2000/78/EG), die die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung im Arbeitsverhältnis untersagt, ist die Arbeitgeberin verpflichtet, "angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderungen" zu treffen. In seinem Urteil stellt der EuGH fest, dass dieser Begriff impliziert, dass Beschäftigte, die aufgrund einer Behinderung für ungeeignet erklärt wurden, die wesentlichen Funktionen der bisherigen Stelle zu erfüllen, auf einer anderen Stelle einzusetzen sind, für die sie die notwendige Kompetenz, Fähigkeit und Verfügbarkeit aufweisen. Dies gilt ausdrücklich auch für die Probezeit. (EuGH Pressemitteilung Nr. 26/22 vom 10.02.2022).

Es liegt die Befürchtung nahe, dass diese Entscheidung Menschen mit Behinderung „Steine statt Brot“ gibt. Werden Menschen mit Behinderung nunmehr in der Probezeit stärker vor Kündigung geschützt als alle anderen, könnten sich Arbeitgeberinnen veranlasst sehen nur Menschen ohne Behinderung einzustellen.

Dieser Befürchtung kann jedoch mit konsequenter Einhaltung des Datenschutzes begegnet werden.
Es gibt keine gesetzliche Grundlage, die Bewerbende dazu verpflichtet, gegenüber einer potentiellen Arbeitgeberin anzugeben, ob sie einen Schwerbehindertenausweis besitzen. Die Schwerbehinderteneigenschaft stellt ein personenbezogenes Datum besonderer Kategorie gem. § 4 Nr. 2 KDG (Art. 9 Abs. 1 DS-DVO) dar. Die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten ist gem. § 11 Abs. 1 KDG (Art. 9 Abs. 1 DS-GVO) verboten. Ein Ausnahmetatbestand im Sinne des jeweiligen Abs. 2 der genannten Vorschriften ist nicht gegeben. Darüber hinaus ist die Verarbeitung dieses Datums auch gem. § 53 KDG (§ 26 BDSG) nicht für die Begründung des Arbeitsverhältnisses erforderlich.

  • Bewerbende sind also nicht verpflichtet, Auskunft darüber zu geben, ob sie als Schwerbehinderte anerkannt sind.
  • Arbeitgeberinnen sind nicht berechtigt Bewerbende zu fragen ob sie als Schwerbehinderte anerkannt sind.

Davon zu unterscheiden ist die Frage nach solchen gesundheitlichen Einschränkungen, die die Übernahme der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit dauerhaft unmöglich machen. Diese Frage ist aber unabhängig davon, ob eine anerkannte Schwerbehinderung vorliegt, da für den Arbeitgeber nur von Interesse ist, ob der Bewerber die ausgeschriebene Tätigkeit übernehmen kann oder nicht. Das hängt aber nicht vom Besitz eines Schwerbehindertenausweises ab.